Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter
Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter bei der Trümmerbeseitigung |
Über 10 Millionen Kriegsgefangene, Zwangs- und
Fremdarbeiter aus verschiedenen europäischen Ländern befanden sich während
des Krieges in Deutschland. Während sich die „Zivilarbeiter“ aus den
westeuropäischen zu Beginn des Krieges weitgehend selbstständig gemeldet
hatten, wurden die Polen und „Ostarbeiter“ vielfach „Zwangs-“ geworben.
Die nationalsozialistische Rassenideologie bot die Legitimation für die
massenhafte Zwangsrekrutierung von polnischen uns russischen
„Arbeitssklaven“. F. Sauckel, „Generalbevollmächtigter für den
Arbeitseinsatz“ gibt an, dass höchstens 200 000 freiwillig gekommen seien.
Bereits 1936 fehlte es in Bremen an Arbeitskräften. Ende
1936 waren 50 % der Bevölkerung erwerbstätig. Bereits vor Ausbruch des 2.
Weltkrieges entwickelte sich Bremen zu einer der bedeutendsten Rüstungsschmieden.
Ende 1939 produzierten 80 % der Bremer Industrie für die Rüstung.
1941 hatte Bremen im Reichsdurchschnitt die meisten ausländischen
Arbeitskräfte zugewiesen bekommen. 1942 waren 20 % der Belegschaften Ausländer.
1944 waren ca. 20% der Zwangsarbeiter im öffentlichen Bereich eingesetzt. Im
November betrug der Anteil der Fremdarbeiter in den folgenden bremischen
Betrieben:
Deschimag (AG Weser) | 12,7% | 2042 |
Borgward | 35,4% | 4293 |
Focke-Wulf |
18,9% | 544 |
Weser-Flug | 30,5% | 3267 |
Bremer Vulkan | 7,3% | |
Norddeutsche Hütte | 369 | |
Hafenbetriebsverein | 1611 | |
Bremer Wollkämmerei | 1198 |
1944 bestanden in Bremen ca. 200 Lager. Personen und Lager unterstanden dem Bausenator. Nach der Fertigstellung wurden die Lager dem „Amt für Arbeitseinsatz bei der deutschen Arbeitsfront“ zur Verwaltung übergeben.
1944 waren in den Evakuierungslisten der Stadt Bremen 44 000 Ausländer verzeichnet. In den Lagern befanden sich:
Ostarbeiter (Sowjetbürger) | 11025 |
Franzosen | 5772 |
Niederländer | 3035 |
Belgier | 2402 |
Die Zwangsarbeiter arbeiteten vor allem in der Rüstungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft. Nach der Niederlage in Stalingrad und dem Aufruf von Goebbels zum „totalen Krieg“ setzte die neugebildete „Abteilung III – Kriegswichtiger Einsatz“ beim Senator für das Bauwesen die Zwangsarbeiter beim Hoch- und Tiefbunkerbau, Ausbau von Splittergräben und anderen Schutzbauten, sowie für die Enttrümmerung nach Bombenangriffen ein.
Die Nationalsozialisten standen in ständiger Furcht, dass die Bevölkerung in engeren Kontakt zu den ausländischen Zwangsarbeitern kam. Die ausländischen Arbeitskräfte galten der NS-Führung als Sicherheitsrisiko und wurden dem Reichsführer der SS Heinrich Himmler unterstellt. Für Himmler galt es, „die Arbeitskraft der polnischen Zivilarbeiter im größtmöglichem Umfange für die deutsche Wirtschaft einzuspannen, trotzdem aber alle Gefahren abzuwenden, die für die Sicherheit und den rassischen Bestand des deutschen Volkes entstehen.“
Kontakte zur Zivilbevölkerung
Anweisung an die Bevölkerung zum Umgang mit Ausländern |
Unter Androhung hoher Strafen wurde der Kontakt zwischen
den „Volksgenossen“ und „Fremdvölkischen“ verboten. Diejenigen, die
gegen Erlasse und Regelungen verstießen, oder den Anforderungen des
Arbeitsplatzes nicht genügten, drohte die Einweisung in Arbeitserziehungs- und
Konzentrationslager oder die Todesstrafe.
So war es z.B. verboten, dass deutsche „Arbeitgeber“ mit den Zwangsarbeitern
an einem Tisch aßen. Ostarbeitern drohte bei Geschlechtsverkehr mit einer
deutschen Frau die Todesstrafe, Ostarbeiterinnen, die sich mit einem deutschen
Mann einließen, drohte die Einweisung ins KZ.
Der Abwehrbeauftragte bei der Gauleitung Weser Ems schrieb 1939:
„Unsere Frauen und Mädchen, die mit Kriegsgefangenen und fremdvölkischen
Arbeitern in Berührung kommen, müssen auf innere völkisch- rassische Haltung
hingewiesen und dazu erzogen werden …. Jede Volksgenossin, die nicht ihre Würde
bewahrt, gehört nicht mehr zur Volksgemeinschaft.“
Die Bremer Zeitung schrieb im April 1944 unter der Überschrift
„Feind ist Feind“:
„Jeder deutsche
Volksgenosse, der ohne Erlaubnis mit Kriegsgefangenen Verbindung aufnimmt, wird
nach den Kriegsgesetzen bestraft.
Deutscher Würde und deutschem Selbstbewusstsein entspricht daher nur eine
Grundbedingung: Schweigende Ruhe und gelassener Stolz. Der Feind ist Feind! Er
verdient daher weder Mitleid noch Hass. Jede Anbiederung, Vertrauensseligkeit
und verbotene Hilfeleistung ist Volksverrat!“
Trotzdem ließen sich viele Menschen nicht davon abhalten, den Fremdarbeitern zu helfen. So war es der Gestapo bekannt, dass deutsche Frauen auf die Abfälle in den Mülltonnen sorgfältig eingepackte gekochte Kartoffeln legten, da sie wussten, dass die Zivilarbeiter die Mülltonnen nach Essbarem durchsuchten. (Vgl. auch den Bericht v. G. Barenburg: Die Panzersperre)
Unter den Lagerinsassen befanden sich auch Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahre, die zum Teil bis zu 12 Stunden am Tag arbeiten mussten. Aus Sicht des Bürgermeisters Böhmcker waren dies „unnütze Esser“, die zudem das Aufsichtspersonal banden.
Auch den bettelnden Kindern wurde von der Zivilbevölkerung geholfen, was den Senator für Inneres kurz vor Kriegsende zu folgendem Tagesbefehl vom 9.3.45 veranlasste:
Betteln
durch Ostarbeiterkinder.
In letzter Zeit wurde mehrfach beobachtet, daß Ostarbeiterkinder sich bettelnd
herumtreiben und vornehmlich im Stadtzentrum Passanten belästigen. Diesem
Treiben kommen leider immer wieder deutsche Volksgenossen entgegen und unterstützen
die fremdvölkischen Kinder mit Brot und Lebensmitteln. Da dies Mitleid in der
jetzigen Zeit völlig unangebracht ist, ist diesem Treiben erhöht
Aufmerksamkeit zu schenken und erforderlichenfalls unnachsichtig einzuschreiten.
Gegen diese charakterlosen deutschen Volksgenossen, welche genannte Kinder
beschenken, will die Gestapo mit scharfen Maßnahmen vorgehen. Die Berichte sind
der Gestapo unmittelbar zuzuleiten.
Für die „Arbeitsrechtlichen“ Regelungen war zunächst das Reichsarbeitsministerium zuständig. Den Landesarbeitsämtern und ihren Dienststellen oblag es in Zusammenarbeit mit Wehrwirtschaftsinspektionen, den Rüstungskommandos der Firmen und den landwirtschaftlichen Betrieben die Arbeitskräfte zuzuweisen. 1942 wurde der Gauleiter von Thüringen, Fritz Saukel, zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ ernannt, um den „wilden Werbungen“ von „Aushebungskommissionen“ einzelner Unternehmen und der Landesarbeitsämter ein Ende zu setzen.
Die Fremdarbeiter durften ihren Aufenthaltsort nicht verlassen, öffentliche Verkehrsmittel nur besonderer Genehmigung benutzen; jeglicher gesellschaftlicher Verkehr mit „Volksgenossen“ war untersagt. Geschlechtsverkehr konnte mit dem Tode bestraft werden. Den polnischen Arbeitern war in Bremen das Singen polnischer Lieder in der Öffentlichkeit verboten, sie durften sich nicht in Grünanlagen aufhalten und durften auf Gehwegen nur zu zweit nebeneinander gehen. Auch der Besuch des Gottesdienstes war ihnen untersagt.
Den ausländischen Arbeitskräften – selbst denen die im Bunkerbau eingesetzt wurden – war es verwehrt während der Fliegerangriffe die Luftschutzbunker aufzusuchen. Die in den Lagern eingerichteten Luftschutz-Sonderbauten waren meist nur Deckungsgräben, die mit Holz und Sand abgedeckt waren; sie waren selbst gegen Bomben kleineren Kalibers unwirksam.
So heißt es in einem Tagesbefehl der Bremer Schutzpolizei vom 3.1. 1944:
Betr. Aufsuchen der LS-Bunker (Luftschutz-Bunker) durch Ausländer.
Immer wieder werden berechtigte Klagen vorgebracht, daß den deutschen Volksgenossen durch die Ausländer Luftschutzraum in den LS-Bunkern entzogen wird.
Die LS-Bunkerverwalter usw. sind nochmals eingehend zu belehren und anzuweisen, daß
1. Kriegsgefangenen, Ostarbeitern und P-Polen der Zutritt zu den LS-Bunkern bei Fliegeralarm grundsätzlich untersagt ist.
2. den übrigen Ausländern der Zutritt zu den LS-Bunkern nur gewährt werden kann, wenn die LS-Bunker von der Zivilbevölkerung nicht voll in Anspruch genommen werden und sie von den deuschen Volksgenossen getrennt untergebracht werden können.
Ausländer
usw., die hiernach nicht in den LS-Bunkern aufgenommen werden dürfen bzw. können,
sind, soweit möglich, in andere Luftschutzräume, LS-Sonderbauten, usw.
einzuweisen, sofern sie von der Zivilbevölkerung nicht in Anspruch genommen
werden.
Auf der Dienstbesprechung der Bremer Behördenleiter 9.3.43 wurde angeordnet:
„Es Ist „dringendste Pflicht aller beteiligten Stellen, aus den hier eingesetzten ausländischen Arbeitskräften das möglichste herauszuholen …. Arbeitsscheue und Faulenzer sind der Gestapo aufzugeben, damit sie für mehrere Wochen einem Arbeitserziehungslager zugeführt werden. ...“
Die Ernährung der Lagerinsassen war auf ein Minimum reduziert. Die wenig nahrhaften Suppen wurden als „Kohlrübenjauche“ bezeichnet. Angesichts der sich verschlechternden Ernährungslage der Bevölkerung während des Kriegsverlaufs durften die Zwangsarbeiter keineswegs besser gestellt sein. Andererseits führte der Mangel dazu, dass z. T. nur 50 % der Arbeitskräfte einsetzbar waren was datz führte, dass die Rüstungsindustrie ein Abkommen mit dem Schlachthof schloss: Abfälle, die für die bremische Bevölkerung nicht mehr verwendet würden, wurden den Rüstungsbetrieben zur Verfügung gestellt. Eine Regelung, die nach zwei Monaten vom Reichsinnenministerium außer Kraft gesetzt und verboten wurde.
Gruppen
Die Ostarbeiter, westlichen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen waren in getrennten Lagern untergebracht. Kriegsgefangene aus den westeuropäischen Ländern wurden nach der „Genfer Konvention“ behandelt, sowjetische Kriegsgefangene waren den Deportierten gleichgestellt.
Die besten Bedingungen und die größten Freiräume hatten die Zivilarbeiter aus den westlichen Ländern die oftmals bereits zu Beginn des Krieges nach Deutschland gekommen waren. Sie hatten die beste Verpflegung, die beste Gesundheitsversorgung und den höchsten Verdienst. Im April bekamen die westlichen Zwangsarbeiter täglich 0,70 RM, die polnischen 0,50 RM und die sowjetischen 0,20 RM ausgezahlt. Sie hatten auch die Möglichkeit auf „Urlaub“ zu fahren, was seit 1943 verstärkt dazu führte, dass sie nicht mehr aus dem Urlaub zurückkehrten. Von April bis Juni 1943 wurden 1214 Zivilarbeiter vertragsbrüchig und kehrten nicht mehr zurück.
Ein Geflecht von rechtlichen Regelungen schuf ein System strenger Klassifizierung nach ethnischen Gesichtspunkten. Besonders rücksichtslos wurden die fast 15 000 Zwangsarbeiter behandelt, die aus dem Osten kamen.
Sie wurden je nach Lage in Lagern gehalten oder lebten in den Arbeitsstätten und auf den Bauernhöfen, auf denen sie arbeiteten.
Als „osteuropäischen Untermenschen“ standen die polnischen und russischen Arbeitskräfte auf der untersten Stufe der Hierarchie. Polnische Arbeiter hatten, ähnlich dem Judenstern, ein violettes „P“ auf einem gelben Stoffdreieck und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion ein „Ost“ als äußerlich sichtbares Kennzeichen auf ihrer Kleidung zu tragen. Sie erhielten nur 50 % der den nichtsowjetischen Gefangenen zustehenden Rationen an Fleisch und Fett. Auf Grund der besonders scharfen Überwachung und der strengen Strafen hatten sie wenig Möglichkeiten, sich den Anforderungen zu entziehen.
Albert Oltmanns erinnert sich an eine besonders
phantasievolle Aktion von jungen russischen Frauen, die mit ihm zusammen bei
Borgward arbeiteten. Oltmanns hatte ein wenig russisch gelernt, die Frauen
hatten Vertrauen zu ihm:
"Ganz
besonders aber möchte ich den 8. März 1944 (den Internationalen Frauentag) erwähnen.
Kurze Zeit vorher traten die sowjetischen Frauen an mich heran: 'Ob sie wohl
rote Stoff-Farbe bekommen könnten?' Auf meine Frage, wie viel? riefen sie: 'Oh,
viel, viel, sehr viel.' Daraufhin haben meine Frau, meine Töchter und ich überall
in Bremen Braunsche rote Stofffarbe gekauft und ihnen gegeben, wobei ich fragte:
'Wozu?' und die junge sowjetische Arbeiterin die Achseln zuckte und lachend
meinte: 'Das werdet Ihr schon sehen!' Und am 8. März kamen diese sowjetischen
Frauen alle - weit über 100 - morgens bei Arbeitsbeginn eine Treppe herunter -
alle mit roten Kopftüchern, wie eine rote Welle - gingen durch die Halle und an
ihre Arbeitsplätze. So feierten sie den 8. Mai 1944! Es war eine Heldentat -
ich war ganz erschüttert. Die ganzen Nazis stürzten auf mich zu, weil ich der
einzige war, der während dieser Jahre etwas russisch gelernt hatte und fragten:
'Was ist denn los?' Ich sagte: 'Ganz einfach. Sie hatten bis jetzt immer weiße
Kopftücher, die wurden immer so schnell schmutzig, da haben sie diese rot gefärbt.
Sie hätten sie ja auch schwarz färben können, aber dann hättet Ihr gleich
gedacht, sie tragen Trauer, weil sie hier arbeiten müssen. Diese Demonstration
hat auf die deutschen Arbeiter einen großen Eindruck gemacht."
Quellen:
G. Heuzenroth: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, Bd. 4: Die im
Dreck lebten, Oldenburg 1994
C.
U. Schminck-Gustavus: Bremen kaputt, Bremen 1983
Inge Marßolek: Zwangsarbeiter in Bremen, Bremen 1986