Kriegsende

G. Barenburg, Jahrgang 1933, wohnte mit ihrer Schwester und ihrer Mutter in der Leher Heerstraße 30. Mit 12 Jahren erlebt sie das Ende des 2. Weltkrieges. Ihr Vater befand sich am Ende des Krieges in Gefangenschaft. 

Die Panzersperre.

Eines Tages wurde sie gebaut, eine Panzersperre, genau auf die Grenze unseres Gartens zum Nachbarn. Wir schauten mit ängstlichen Blicken, es kam ein Trupp Strafgefangener, alles junge Männer. Gestreifte Anzüge, auf dem Kopf trugen sie eine Art Baskenmütze. In die Fußwege wurden Holzstämme gerammt. Holz, wie gut ließ sich das zum Wärmen im Winter oder zum Kochen gebrauchen, denn oft war Strom und Gas abgestellt, dann blieb die Küche kalt. Ich glaube uns Kindern hat es nicht so viel ausgemacht; es gehörte zu unserem Alltag. Das brachte der Krieg so mit sich. Fasziniert betrachteten wir die Gefangenen. Wir Kinder machten uns über ihre Situation  keine Gedanken, sie wurden in Trupps gebracht, sie arbeiteten, und abends ging es wieder ins zurück ins Lager. Ja, und nun waren sie bei uns vor dem Haus.  

Die Wärter mit ihren Gewehren! Ein Geschäftsmann hatte noch Spirituosen; damit wurde getauscht Holz gegen Alkohol. Der Alkohol. Zum ersten Mal in unserem Leben sahen wir Gewalt. Die Aufseher waren enthemmt, sie schlugen und traten unter Alkoholeinfluss auf die Gefangenen ein. Mutti holte uns mit verweinten Augen rein. Vorne im Garten, stand ein Buchsbaumbusch, dort versuchte sie, verstohlen etwas Ess- oder Trinkbares in den Zweigen zu verstecken. Wehe wenn sie erwischt wurde, das war bei Strafe verboten.

Dann war sie fertig die Panzersperre, sie ging über die Fußwege auch auf der anderen Straßenseite. Die Fahrstraße selbst blieb offen. Für uns Kinder was Tolles, konnten wir doch darauf rumspielen.

Henny und ich waren auf der Straße beim spielen. Hinke, pinke. Schon seit Tagen war ein Lärmen in der Luft. Ein Soldat, der mit seinem Fahrrad vorbeikam, ging zu unserer Mutti: "Wollen sie nicht mal schnellstens ihre Kinder von der Straße holen? Es ist Artilleriefeuer draußen, die Front kommt näher und sie lassen die Kinder draußen?'' Wir waren am Spielen es war so ein gleichmäßiges Grummeln. Man hatte sich dran gewöhnt. Kein Alarm, keine Flak keine Bomben. Nur Grummeln und das tat uns nix, ja, und im Haus sind Kinder schlecht tagelang zu halten.

Die letzten Kriegstage und die Panzersperre soll verteidigt werden.

Wir standen am Fenster und schauten hinaus. Es war unheimlich still draußen geworden. Ein Soldat auf einem Krad wollte grade unsere Panzersperre durchfahren in Richtung Vorstraße, als eine Frau ihm mit einem Fahrrad entgegenkam. Sie sprach ihn an: "Mann, fahren sie bloß in ihrer Uniform so schnell wie möglich nach Haus, die Tommys stehen schon bei der Horner Mühle!" Worauf er sein Krad umdrehte, zu den Frauen, die nun mittlerweile dazu gekommen waren sagte er: “Diese Panzersperre soll verteidigt werden.“ Dann brauste er ab. Da standen nun die Mütter ratlos da. Wohin nun? Mutti meinte: ",Geh'n wir zu Oma Meier in die Vorstaße. Wenn ich dies heute schreibe, stiehlt sich ein kleines Lächeln über die Mundwinkel: Leher Heerstraße - Vorstraße nur ein Katzensprung. Aber für unsere Mütter ein Hoffnungsschimmer, uns Kinder zu retten.

Die Tommies sind da

Zwischen all dieser Ratlosigkeit kamen sie auch schon an. Liefen von einem Baum zum anderen, von einer Türnische zur anderen, die Tommies. Wie sahen sie aus die Tommies? Wie haben wir sie uns vorgestellt? Die Tommies, die uns die täglichen Bombenangriffe gebracht hatten? Ich glaube für mich waren sie damals wesenlos. Umso erstaunter war ich, als ich sie sah. So ganz anders als unsere Soldaten. Die kurzen Jacken, die Po’s in den Hosen, die halbhohen Stiefel, das Kauen des Kaugummis, das waren die ersten Eindrücke. Und ganz junge Männer waren es auch. Ich war voller Verwunderung und Angst, was würde nun geschehen?  

Als erstes war vor unserem Haus Stopp, von wegen der Panzersperre. Eine Frau aus dem gegenüberliegenden Haus ging mutig den Soldaten entgegen, öffnete weit ihren Mantel und sagte: „Ich bin Frau.“ Später hatte es noch viel Gelächter drum gegeben, denn es war gut erkennbar gewesen, dass sie eine Frau war. Sie war in dem Moment die resoluteste, sprach mit den Soldaten, sagte ihnen ,dass die Panzersperre unscharf war. So ging alles unblutig und unheimlich ruhig vorüber. Es waren nur Mütter auf der Straße mit ihren Kindern. Die paar zurückgebliebenen Männer in ihren braunen Umformen waren wie vom Erdboden verschluckt.

 Die Engländer hielten Einzug.

Auch in unserem Haus. Wir mussten alle in den Keller. Nach ein paar Tagen durften wir die obere Etage bewohnen. Unten in der Küche und im Wohnzimmer hatten die Engländer Platz genommen. Für uns begann eine Zeit, die man nicht beschreiben kann. Oder doch ? Ich will es versuchen. Die schönste Erinnerung an das Kriegsende war für mich: Ausziehen, wenn man ins Bett ging. Bis dahin hatte ich nur im Trainingsanzug geschlafen, damit wir bei Alarm schnell in den Keller kamen. Ja, ausziehen, welch ein unbeschreiblich wohliges und befreiendes Gefühl.! Dann das Kaugummi! Welch ein Besitz, wenn ich mal eins geschenkt bekam. Tagelang kaute ich darauf rum . Ab und zu ein bisschen Zucker dran (falls man welchen mopsen konnte) und abends klebte ich es für den nächsten Morgen unter das Bett.

Ach, und dann stand in der Küche ein olivfarbener großer Behälter und was war drin? Kekse! Ähnlich wie Leibnitzkekse. Oft habe ich versucht, einen Keks zu mopsen. Aber immer wieder zuckte mein Arm zurück in der Angst, vom einem Engländer, erwischt zu werden. Was hatten die aber auch alles! Schokolade, Kekse, Kaffee, Tee, Eier - und weißes Mehl. So etwas hatte ich noch nie vorher gesehen.

Als die Engländer bei uns einzogen, brachten sie auch was mit und ließen es da, als sie unser Haus verließen. Einen bunten Regenmantel, der mir vortrefflich passte, ein Silberbesteck, von dem wir selbst genug hatten. Dafür nahmen sie aber etwas wieder mit: meine blaue Steppdecke. Mir war der Regenmantel viel lieber. Auch die olivfarbene Dose mit den Keksen, weißes Mehl, Eier und Fett ließen sie da. Welche Schätze! Die Erwachsenen (Mutti, Tante Dele und Cousine Edeltrud) rätselten, was machen wir mit diesem unverhofften Reichtum.

„Na, dann lasst uns damit mal Pfannkuchen backen.“ - Das hat uns vielleicht geschmeckt! Die Großen litten unter Magendruck, war auch alles echt? Meiner Schwester und mir ging es gut - endlich einmal satt.

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