Der Hollerland-Kompromiss 
vom 5. Oktober 1989

oder von Schinken, Rotwein und einer alten Schreibmaschine. Gerold Janssen erinnert sich.

Die munter im Wind wehenden Fahnen über dem Hollerland hatten eine Flut von Berichten in den Medien zur Folge. Aber auch die Kräfte aller Beteiligten gingen merklich zurück: Ich will nicht am Hollerland zu Grunde gehen", titelte die TAZ über meine Befindlichkeit, und auch die SPD unter dem Bausenator Kunick wollte endlich einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung um das Hollerland ziehen. Zum Staatsrat Manfred Osthaus hatte ich mittlerweile etwas mehr Vertrauen aufgebaut, aber eine gehörige Portion Skepsis blieb, ob er dieses gemeinsame Verständnis auch in seinem Amt würde umsetzen können und wollen.

Ende September wurde es kritisch: Bei einer Besprechung - zum ersten Mal in einer größeren Runde zwischen der SPD (Kunick, Osthaus, Dittbrenner, Schreiber) und der Bürgerinitiative zusammen mit dem BUND (Gerold Janssen, Rechtsanwalt Dr. Andre­as Reich, Geschäftsführer Joachim Seitz) - kam es zu einem gewaltigen Knall über die mögliche Grenzziehung zwischen dem erweiterten Naturschutzgebiet und einer künftigen Baugrenze im Hollergrund. Die Beteiligten liefen auseinander, ohne einen neuen Termin zu vereinbaren. Es sah nicht gut aus.

Doch schon einen Tag später kam ich erneut mit Manfred Osthaus bei einem Dia-Vortrag beim SPD-Ortsverein Lehester Deich zusammen. An diesem Abend bekam ich bei meinem Referat große Unterstützung durch ihn; seitdem sind wir per Du. Der nächste Tag sollte dramatisch werden. Fenna war in Emden, ich war allein zu Hause und saß gerade an unserer alten Schreibmaschine, als das Telefon ging. Man­fred Osthaus: Hast du heute abend etwas vor? Wir müssen noch was besprechen wegen gestern abend. Der Senator kommt auch."

Ich druckste, denn ich war noch geschafft von dem langen Referatsabend bei der SPD; aber ich sagte zu und sauste noch schnell los, um Schinken zu holen. Das ge­hörte zu einem Treffen mit K. Kunick dazu - in Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit bei der FIDES-Treuhandgesellschaft, als wir zusammen Reedereiprüfungen in Madrid und in vielen großen europäischen Hafenstädten durchführten. 

Manfred kam als erster, und ich war noch völlig arglos. Doch dann erschien nicht Konrad Kunick als nächster, sondern der Sprecher der Baudeputation Carlo Schreiber mit Aktenkoffer. Immer noch ahnte ich nicht, was da kommen sollte. Als schließlich Senator Konrad Kunick erschien und sagte: Wir müssen unbedingt Nägel mit Köpfen machen, bevor die F.D.P. einen Hollerlandantrag in der Bürgerschaft einreicht ", fiel bei mir der Groschen. Ich fühlte mich gar nicht wohl angesichts der Verantwortung, allein im Namen der Bürgerinitiative mit diesen Politikern einen Vertrag zu schließen. Doch nun gab es kein Zurück mehr, dafür aber viel Jamon Serrano und viel Rotwein! Wir saßen draußen auf der über­dachten Terrasse, Manfred Osthaus an der uralten Schreibmaschine. Es war eine schwierige Materie, den Kompromiss in eine verständliche und auch politisch praktikable Form zu bringen - besonders was die künftige Grenze des Naturschutzgebietes betraf.

Es war ein wunderbar lauer Oktoberabend, der auch hungrig und durstig machte. Immer wieder musste ich rein, um Nachschub zu holen, aber ich musste höllisch aufpassen, um nicht auf den unzählige Nacktschnecken auszurutschen, die auch unterwegs waren; vielleicht hatten sie den Braten" gerochen.

Wir formulierten bis nachts um drei Uhr, und die Stimmung war gut. Nachdem Konrad Kunick als Senator, Carlo Schreiber als Vertreter der Bürgerschaftsfraktion und ich für die Bürgerinitiative den Vertrag (Dokument) unterschrieben hatten, wurde als Termin für eine Pressekonferenz vereinbart, natürlich im Hollerland!

Als die drei weg waren, war mir überhaupt nicht wohl. Die Verantwortung für die Zu­stimmung zum Kompromisspapier und die vorangegangenen Strapazen lasteten wie Blei auf mir. An Schlaf war nicht zu denken.

Am Vormittag des gleichen Tages fand dann auf den Wiesen westlich des Hollerwaldes die Pressekonferenz statt. Es war das erste Mal, dass sich die Hollerlandinitiative mit Senats- und Bürgerschaftsvertretern in einer gemeinsamen Aktion der Öffentlichkeit stellte. Entsprechend groß war dann auch das Echo in den Medien. Die TAZ brachte dazu einen Kommentar David und Goliath" mit einem Foto, auf dem Manfred Osthaus und ich beieinander stehen; ich bin 1,70 m groß, Manfred Osthaus misst mehr als 2,10 m! Es war für mich ein historischer Moment", wie der Weser Kurier seinen Bericht betitelte; aber ich empfand es als sehr bitter, dass zur gleichen Zeit frühere Mitstreiter der Hollerland-BI auf derselben Wiese gegen den Kompromiss demonstrierten; sie hielten weiter am Alles oder Nichts" fest. Mir aber war bewusst, dass das einen endlosen Kampf bedeutet hätte, dessen Last besonders ich hätte tragen müssen.

Für mich folgte eine schwere Zeit mit einer lange andauernden Depression. Ich glaubte, mit meiner Unterschrift dem Herrgott ins Handwerk gepfuscht zu haben, weil ich damit eine Teilbebauung im Hollerland zuließ. Schon 24 Stunden nach der Pressekonferenz hatte ich auf den Wiesen im Hollergrund mit einem Maßband die Grenze ausgemessen und mit Pflöcken abgesteckt. Meine Zweifel blieben.

Erst Monate später erkannte ich, wie sich durch die Grenzöffnung nach Osten am 9. November 1989 durch die vielen Aus- und Übersiedler ein erhöhter Wohnungsbedarf auch in Bremen ergab. Wer weiß, wie die Geschichte um das Hollerland ausgegangen wäre, wenn die Bürgerinitiative erst dann begonnen hätte, die Ausweitung des Naturschutzgebietes um die zusätzlichen Wiesen und den Hollerwald zu fordern...?

Jetzt erst war ich mir sicher, richtig gehandelt zu haben.

 
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