LANGER  JAMMER
VON   ERNST   SÖLBRANDT  

Wir waren Bödels (Bremer Ausdruck für kleine Jungen), als ein Lehrer uns im Schulausflug über die derzeitige Lilienthaler Chaussee hinweg nach Oberneuland führte. Die Lilienthaler Chaussee mit ihren dicht an dicht stehenden knorrigen Eichen spendete guten Schatten. Rechts und links der Straße breite wassergefüllte Gräben, die mit Reith, Schilf und den für uns Jungs so brauchbaren Schilfkolben, wir nannten sie Lampenputzer, bewachsen waren. Unendlich weit sah man über saftige Wiesen, und in dieser Unendlichkeit war dann auch die Straße ein fürchterliches Kilometerband, nicht enden wollend für unsere Jungensfuße. Wer hätte je gedacht, dass man an solch einer Straße noch seinen Wohnsitz nehmen würde? Schon sitzt man aber wieder 30 Jahre dort. Ich sah unsere Straße gleich nach dem ersten Weltkrieg wieder. Es waren schon mehr Häuser geworden, die man erbaut hatte. Immerhin, zwischen den einzelnen Gruppen lag noch viel unbebautes Land. Der „Lange Jammer" selbst hatte noch sein Kopfsteinpflaster und an der einen Seite verlief ein Sommerweg. Im Zuckeltrab, morgens sehr verschlafen, zogen die Heidjer ihre pferde-bespannten eigenartigen Torfwagen zur Stadt, und abends mahlten dieselben Wagen im Sommerweg zurück. Jetzt war auch schon aus der Lilienthaler Chaussee Lilienthaler Heerstraße geworden. Aus dem Namen Breen Week

 (Breiter Weg); eine Bezeichnung, die heute noch in unserer ländlichen Bevölkerung gebraucht wird; aus diesem Namen war nun der in der Bevölkerung Bremens allgemein bekannte Namen „Langer Jammer" geworden. Dann verschlug das Schicksal einem selbst an den Langen Jammer. Jeden Tag zu Fuß nach Horn, das waren gut 25 Minuten. Aufatmend begrüßten wir dann in den zwanziger Jahren die Autobusverbindung Cohrs, Horn - Lilienthial über den Langen Jammer hinweg. Was war das für ein vollgummibereiftes Vehikel gegenüber unseren heutigen Bussen, das da über die Lilienthaler Heerstraße hinweg hoppelte; was musste da mit Ausbiegen bei entgegenkommenden Pferdefuhrwerken jongliert werden. Ja, das sah oft gefährlich aus, wenn die Wagenspur im Sommerweg vorlief. Aber noch hatte man, vornehmlich sonntags, Zeit; noch raste nicht der Verkehr. Eines Tages war es aus mit dem Sommerweg. Eine Packlage klobigen Schotters walzte eine Dampfwalze in den Sommerweg des Langen Jammers. Eine Asphaltdecke darüber vollendete die Arbeiten, und unsere Lilienthaler Heerstraße war breiter geworden und nahm immer mehr Verkehr auf. Den vollgummi-bereiften Vehikeln folgten die luftbereiften, und aus dem „Klapp-Klapp-Klapp" eines langsam vorbeifahrenden pferdebespannten Wagens wurde das „Husch" eines Autos. Bei

allem, den ländlichen Charakter behaltend, gab es für uns nichts Schöneres als den Langen Jammer". Doch leider wurde der Verkehr immer mehr und erreichte kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges ein Ausmaß, dass zum Beispiel sonnabends oder sonntags nachmittags ein Auto hinter dem anderen von mittags bis abends den Langen Jammer passierte. – Krieg!  Aus war's mit dem Verkehr auf unserer Straße. - Gebebt hat auch der Lange Jammer, und seine Wunden sind die großen Lücken im Baumbestand. Vielleicht ein Segen, dass den Häusern am „Langen Jammer" ein nicht so großer Verlust zustieß. — Inzwischen waren die vordere Siedlung und die letzte Siedlung entstanden; nun baute man die Lüningsche Siedlung. Immer mehr Familienhäuser kamen am Langen Jammer hinzu, und mit Häuserbau und dem Sicherholen wuchs der Verkehr. Morgens um 1/2 5, da hebt der Verkehr an und steigert sich. Eine schnurgerade Strecke ist passend für eine Schnelligkeit des Verkehrs. Wer sieht da noch auf ein Warnschild „Kinderspielplatz"? Wer achtet da noch beim Überholen darauf, dass es zu dritt geschieht? Unser Langer Jammer hat es nicht leicht Noch wahrt die Lilienthaler Heerstraße ihren ländlichen Charakter, noch schirmen die alten Eichen die Sonnenstrahlen ab, noch bieten die Eichen Trutz den Stürmen und Winden aus dem Blockland her.

Das Horn, Mitteilungsblatt des Bürgervereins Horn-Lehe, 1/2 23.Juli 1955