Schule Lehesterdeich

Die Schule Lehesterdeich wurde vermutlich mitteldes achtzehnten Jahrhunderts eröffnet. Sie versorgte die Kinder aus Lehesterdeich und aus Oberblockland. weil das Schulgebäude die zahlreichen Kinder aus der roten Siedlung an der Lilienthaler Heerstraße nicht aufnehmen konnte, wurde 1937die Holzschule am Lehester Deich eröffnet. 1961 wurde der Unterricht an der Schule Lehesterdeich eingestellt. Die Kinder wurden aufgeteilt auf die Schulen Borgfeld und die Schule an der Horner Heerstraße. Das Gebäude am Kreuzdeich stand zunächst leer und wurde anschließend beim Bau des Autobahnzubringers als Baubüro genutzt. 1980 wurde es verkauft und umgebaut. Die Holzschule wurde an den "Hanseaten-Klub" verpachtet und beherbergt seit dem das "Theater am Deich". Das Schulgebäude am Kreuzdeich



Bauzeichnung der Schule am Lehesterdeich 1930


Zustand des ehemaligen Schulgebäudes 1980

Heinrich Früchtnicht schrieb den folgenden Bericht nieder:
Folgenden Bericht gab er mir wenige Monate vor seinem Tode.
Johann Giesek
en erzählte:

Das alte Schulhaus in Lehesterdeich stand an der Stelle der jetzigen Kreuzdeichschule und war ein recht primitives Strohdachgebäude, in dem sogar noch Stallungen untergebracht waren. Ein Zimmer diente als Schulraum. In dem Häuschen wohnte der alte Lehrer Koster Hilken mit seiner Frau Wupke. Er war ein kleiner Mann mit grauem Bart und langen Haaren, die ihm über den Rockkragen hingen. Der Bauer Johann Hinrichs Behrens, Lehesterdeich 115, entdeckte ihn im Worpsweder Moor beim Torfstechen. Er wohnte als Moorbauer in einer kleinen Moorkate. Weil er gut rechnen, lesen, schreiben und singen konnte und auch in Katechismus und Bibel bewandert war, überredete der Bauer Behrens ihn, sich um die Lehrerstelle in Lehesterdeich zu bewerben. Nach einer Prüfung, die wohl der Pastor in Horn vornahm, wurde er dann in Lehesterdeich eingestellt. Lehesterdeich hatte damals um 1840 viel unter Hochwasser zu leiden, so dass die Mädchen in „Holzchaustiefeln“ (Holzschuhe mit langen Lederschäften) zum Melken gehen mussten. Auch das Einbringen der Heuernte machte große Schwierigkeiten. Durch das Hochwasser kam es oftmals zu Deichbrüchen, so bei Wischhusen und 1855 bei Behrens (Peters). Den betroffenen Anliegern erwuchsen daraus schwere Lasten, da sie den Deich wieder herstellen mussten. Es galt das Wort: „Wer nich kann dieken de mutt wiieken!“. Das ganze Feld war oft überflutet. Der Fußweg auf dem Deich war meistens nicht zu begehen, und auch der niedrigere Fahrweg stand oft unter Wasser. Kam dann Frost und das Eis hielt noch nicht, konnte aber auch nicht aufgebrochen werden, so gerieten die Lehesterdeicher oft in Nahrungssorgen und mussten ihre Vorräte durch Zusatz strecken. Sie steckten manchmal sogar Notflaggen aus, um von Nachbarn Hilfe zu erbitten. Kam im Frühling Eisgang, so trieb der Wind die Schollen oft hoch an den Bäumen empor. In Borgfeld war bei Schäper Klatte (jetzt Mimi Lange) früher ein Bild, das den Eisgang von 1855 zeigte. – Auf Rosen waren die Leher in jener Zeit nicht gebettet, da das Einkommen recht klein war. Wupke Hilken schnitt für Kuh und Schwein an Gräben und Wegen mühsam Futter. Die Kinder lernten bei Koster Hilken wohl nicht übermäßig viel, doch für ihr Leben reichte es. Wer nur die nötigen Anlagen hatte, kam schon zurecht. Die Zuwegung nach der Schule war oft durch das Wasser behindert. Bei sehr schlechter Witterung blieben viele Kinder über Mittag in der Schule; die Pause bis zum Nachmittagsunterricht dauerte nur zwei Stunden. Dann brachten die Kinder Brot, Grütz-, und Beutelwurst mit, und Wupke briet sie ihnen. Von den Hausschlachtungen bekam Koster Hilken immer sein Paket mit Fleisch und Wurst. Hilkens Nachfolger war Ernst August Kück, der vorher in Niederblockland war und 1882 nach Lehesterdeich kam. Später wurde er als Schulvorsteher nach Schwachhausen versetzt. Wann die neue Schule gebaut wurde ist mir nicht bekannt (vermutlich 1850). Auf Kück folgte Julius Nolte, nachdem vorher für kurze Zeit Herr Wefing Senior, der später Schulvorsteher in Borgfeld war und am 12. Dezember 1913 starb, ebenfalls in Lehesterdeich tätig gewesen war.

Hier endet der Bericht von Herrn Gieseken. Weitere Auskünfte erhielt ich von Frau Meta Corßen, die als Tochter des Schulvorstehers Julius Nolte im Schulgebäude Lehesterdeich geboren wurde, und von Frau Meta Meister, Ehefrau des verstorbenen Lehesterdeicher Schulvorstehers Friedrich Meister.

Julius Nolte blieb bis 1899 Schulvorsteher in Lehesterdeich; dann übernahm er die Schule Oslebshausen. Damals war der Schulvorsteher verpflichtet, den zweiten Lehrer, der in einem Zimmer über den Schulräumen wohnte, "in Kost" bei sich aufzunehmen.

Nolte hatte eine zahlreiche Familie, und zu der Tischrunde gehörte auch der Hilfslehrer Kasselbart. An den Tagen mit Vor- und Nachmittagsunterricht (Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag) fanden sich dann noch die Kinder vom Truperdeich (Schleusenhaus Semkenfahrt im Preußischen) ein, die als Gastschüler am Unterricht in Lehesterdeich teilnahmen. Mit einem Boot setzten sie bei Gartelmann (Oberblockland) über die Wümme. Nolte führte die Schul- Weihnachtsfeier ein, an der auch die Eltern teilnahmen. Seine Nachfolger waren die Schulvorsteher Johann Giesecken, Hinrich Meier und Ernst Howe. Im Jahre 1910 übernahm Friedrich Meister die Schule Lehesterdeich. Mit seinen Schülern und den Eltern unternahm er schon größere Heimatkundliche Ausflüge, in die nähere und weitere Umgebung Bremens zwischen "Badener Berg", Schönebeck und Hasbruch Ziel hatten und auch nach Hamburg führten. Er erkrankte schwer und wurde 1928 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Hermann Schütte löste ihn ab und leitete die Schule bis zum Jahre 1945. 

Über seine "Ausbildungszeit an der Schule berichtet der Bremer Reformpädagoge Paul Goosmann: 
„Die erste feste Stelle bekam ich Ende 1927 in der Schule am Lehester Deich, einer zweiklassigen Dorfschule.
Dort hatte ich die unteren vier Jahrgänge. Es war so etwas Ähnliches wie eine Referendarzeit. Damals gab es diesen Begriff nicht, wir waren gleich Lehrer und mussten die Klasse voll führen. Es war keiner da, der uns half. Wir waren Lehrer mit der ersten Lehrerprüfung, unsere zweite Prüfung mussten wir nebenbei machen.
Die Schule am Lehester Deich hatte nur einen Schulleiter und mich. Der Schulleiter war auch nicht so, dass er mir viel hätte zeigen können. Er war ein ganz ordentlicher Lehrer. Anfangs bin ich immer mit dem Fahrrad von der Gastfeldstraße nach Kuhsiel/Kreuzdeich gefahren. Bei gutem Wetter fuhr ich oft freihändig. Erst später habe ich mir ein Motorrad angeschafft, auf Abzahlung. Ohne Führerschein bekam ich die Erlaubnis, den Kuhgrabenweg zu befahren. Ich war der einzige Motorradfahrer der Stadt Bremen, der dort fahren durfte. Eine Autobahn gab es noch nicht. Es waren noch sämtliche Vogelarten da, Flussvögel, Sandvögel und Sumpfvögel. Die Kiebitze schwirrten um mich herum, und alles freute sich. Die Kinder warteten dann schon auf mich, weil ich immer sehr pünktlich war. Der Schulleiter war meistens noch nicht fertig. Er sagte dann manchmal zu mir: Paul, komm man rein und frühstücke noch mit uns. Dann frühstückten wir bis 8.15 oder 8.20 Uhr und gingen danach erst in die
Klassen. Das gab es in der Stadt nicht, dort fing man ganz pünktlich an. Folgende Geschichte habe ich am Lehester Deich erlebt:
Die Kinder, die dorthin kamen, konnten noch nicht richtig Hochdeutsch. Sie sprachen Platt. Ich konnte ja nun von meinen Großeltern her auch Platt. Als am 3. Tag die Erstklässler kamen, sagte ich: „Hüde morgen schüllt ji'mi verteilen, wo dat so to Huus togeiht, befor ji so nah Schoole kaamt." Alle erzählten dann ganz munter, aber Didi Gartelmann, der saß da, mit so einer Schnute. Ich fragte ihn: „Na Didi, worum verteilst du denn nix?" - „Och", seggt he, „wat is denn dor to vertelln, dat is doch allns selbsverständlich un jimmer datselbige." - „Na, die Anderen erzählen doch auch, denn tu du das man auch." -„Na gut. Erst kummt Mudder runner um soß, un seggt opstahn, nach, un denn, wenn Mudder dat seggt, denn treck ick mien Nachthemd ut, un denn" - er stutzt und zögert - „denn treck ick mi de Feddern ut den Moors, dat Inlett is twei." Da lachte die ganze Klasse, und er sagte: „Dor gifft dat nix to lachen. Mudder het nu keene Tied to neien, eers in veertein Dagen, wenn de Fröhjohrsinsaat vorbi is."
Im ersten Schuljahr waren 7 oder 8 Schüler, als ich die Klasse übernahm. Die gleiche Zahl war in den anderen drei Jahrgängen. Das waren also rund 30 Schüler.
Wir mussten zum Abschluss unserer Ausbildung eine Arbeit schreiben und wurden in Pädagogik geprüft. Das war das Staatsexamen. Es wurde hospitiert, und es gab ein Gespräch mit einem Schulrat über pädagogische Themen. Das Gespräch fand damals noch im Rathaus statt. …Mit dem Examen war die Zeit am Lehester Deich beendet.“ (Paul Goosmann, in „Erinnerungen eines Bremer Reformpädagogen“)

H. Früchtnicht setzt seinen Bericht wie folgt fort:
In  seine (H. Schüttes) Amtszeit fällt die Erweiterung der Lehesterdeicher Schule. Als an der Lilienthaler Heerstraße die GEWOBA Siedlung gebaut wurde und viele Schulkinder angemeldet wurden, reichte der Platz in der alten Schule am Kreuzdeich mit den beiden Klassenräumen nicht mehr aus. Deshalb wurde im Jahre 1936 ein Holzgebäude etwa 500 m von der Lilienthaler Heerstraße entfernt am Lehesterdeich 94 erbaut. Zwei geräumige Klassenräume, ein Lehrerzimmer und ein Abstellraum entstanden in dem mit Ziegeln gedeckten Holzgebäude. Auf dem Schulhof errichtete man ein kleines Gebäude für die Toiletten und für Die Kohlenvorräte. In die Holzschule zogen dann Ostern 1937 2 neue Klassen ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm ich die Schule Lehesterdeich. Hermann Schütte wurde an die Schule an der Carl-Schurz-Straße versetzt.

Nun folgt ein eigener kurzer Bericht an die Schulverwaltung in Bremen über das erste Nachkriegsschuljahr vom 9.9.1945 bis 30.9.1946; es ist zugleich mein erstes Amtsjahr an der Schule Lehesterdeich:

Nach meiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft übernahm ich am 19.9.1945 die Leitung der Volksschule Lehesterdeich. Ein großer Teil der Schüler musste an die Schule Horner Heerstraße abgegeben werden, weil die amerikanische Militärregierung die Holzschule am Lehesterdeich 94 (in der Nähe der Lilienthaler Heerstraße) beschlagnahmte und dort eine Radiosenderstation mit acht hohen Funktürmen einrichtete. In der Stammschule (Kreuzdeichschule) Lehesterdeich blieben nur die Kinder, die am Lehesterdeich und in Oberblockland wohnten. 88 Schüler, und zwar 52 Jungen und 36 Mädchen blieben in Lehesterdeich. Ich übernahm allein den Unterricht. Mitte Oktober 1945 wurde Fräulein Margarethe Wilshusen der Schule Lehesterdeich zugeteilt. Am 29.11.1945 erkrankte sie und wurde dauernd dienstunfähig. Also musste ich wieder den gesamten Unterricht für die inzwischen noch angewachsene Schülerschar übernehmen. Dieser Zustand dauerte bis Ostern 1946. Dann wurde Fräulein Anna Hummert von der Borgfelder Schule nach der Schule Lehesterdeich versetzt, und wir konnten uns den Unterricht teilen. Wegen des allgemeinen Papiermangels gab es keine Hefte zu kaufen. Die alten Schulbücher durften laut Anordnung der amerikanischen Militärbehörde nicht benutzt werden. Das Fehlen von Heften das Fehlen des Übungsstoffes erschweren also die Auswertung der Arbeit in der Schule durch Hausaufgaben. In der Zeit nach diesem Berichte an die Schulbehörde besserten sich die Schulverhältnisse allmählich. Nach und nach lieferte die amerikanische Militärregierung Rechen- und Lesebücher, und die Schulbehörde war bald in der Lage, Hefte zu liefern. - Im Frühjahr 1948 räumte die amerikanische Militärverwaltung die Holzschule; der Sender wurde nach Bremerhaven verlegt. Herr Fritz Nöting kehrte aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück und trat am 1. Juni 1948 in das Kollegium ein. Aus französischer Kriegsgefangenschaft kehrte Herr Theodor Mester zurück und wurde der Schule zugewiesen. Ostern 1951 trat Fräulein Ruth Nischik (später Name Frau Ruth Ehlers), Flüchtling aus Tilsit in das Kollegium ein. Nach der Entlassung des Lehrers Mester aus dem Schuldienst am 16.3.1954 erteilte Fräulein Haide Förner (jetzt Lehrerin in Indien), von der pädagogischen Hochschule in Bremen kommend, den Unterricht an unserer Schule, besonders den Englischunterricht. - Fünf Lehrkräfte waren im Vor- und Nachmittagsunterricht tätig; außerdem wirkte mit sechs Wochenstunden Frau Annemarie Werner als Lehrerin an der Lehesterdeicher Schule.

Am 31 März 1959 endete die Selbstständigkeit der Schule Lehesterdeich. Sie wurde der Schule Borgfeld angegliedert. Ich übernahm die Leitung der nun entstandenen Zentralschule Borgfeld. Der Unterricht wurde erteilt in drei Gebäuden:

Schule Borgfeld, Holzschule Lehesterdeich, Kreuzdeichschule Lehesterdeich.

Am 31.3.1961 wurde die Volksschule Lehesterdeich von der Schulverwaltung aufgegeben und an die Laien-Theatergruppe "Hanseaten-Club“ verpachtet.  

Bremen, den 25.7.1961
Heinrich Früchtnicht

Heinrich Früchtnicht starb im Juli 1970 (Zeitungbericht)

 
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